Die Erschießung von zwei Polizisten auf dem Tempelberg/Haram as Sharif hatte ein Motiv, einen Grund und tiefe Wurzeln. Diese zu diskutieren, wird aber als Verrat angesehen und als Rechtfertigung von Terror

Die Beerdigung von Hauptfeldwebel Hael Sathawi in Maghar. Sathawi wurde am 14. Juli 2017 bei einer Erschießung auf dem Tempelberg in Jerusalem getötet. Foto Gil Eliahu
Fünf bewaffnete Israelis wurden am Freitag am Aufgang zum Tempelberg nach einer kurzen Schießerei getötet. Drei Israelis von Umm al-Fahm töteten zwei Polizei-Offiziere aus den Städten Maghar und Hurfeish im Norden. Die Angreifer wurden in einem Kampf über die Kontrolle und Präsenz an dieser heiligen und besetzten Stätte getötet. Die Motive der Angreifer waren religiöse, nationalistische Motive oder eine Kombination von beidem, aber egal wie, sie benützten gewalttätigen Widerstand gegen die Präsenz der Polizei am Eingang dessen, was für sie eine heilige Stätte ist.
Nur die ethnische Zugehörigkeit der fünf genügte, um das Deck durcheinander zu bringen. Das war kein Terrorakt, wie wir es gewohnt sind. Die Angreifer waren keine Palästinenser aus den (seit 1967 besetzten) Gebieten, ihre Opfer waren keine jüdischen Israelis und die Operation war keine Terrorattacke: Terror ist gegen Zivilisten gerichtet. Dies war kein Beginn eines Bürgerkriegs, aber es war eine Erinnerung, dass es selbst in Israel Leute gibt, die sich dem bewaffneten Kampf gegen die Besatzung hingeben wollen. Es ist eine Mahnung, die jeden Israeli beunruhigen sollte.
Israels Antwort war reflexartig, wie es immer nach einem Angriff ist, bei dem Israelis getötet werden. Es versuchte zu zeigen, dass was geschieht, nachdem ein Druse in Uniform getötet wird, dasselbe ist, als wenn ein Jude in Uniform getötet wird: kollektive Strafe und eine harsche Antwort. Der Tempelberg wurde für zwei Tage geschlossen, weil irgendetwas getan werden musste und die Trauerzelte in Umm al-Fahm wurden zerstört – vielleicht als eine Alternative zum Zerstören der Häuser der Täter –, eine äußerst ärgerliche Verletzung des Rechtes zu trauern. Würde jemand daran denken, Juden daran zu hindern Shiv’a* zu sitzen, egal wer sie waren?
Die Politiker konkurrierten auch, um zu sehen, wer den Angriff in härterem Ton verurteilt, als ob dies wichtig wäre. Im Wettbewerb der Verurteilung war der Sieger, nicht überraschend zum ersten und wahrscheinlich nicht letzten Mal der neu gewählte Vorsitzende der Arbeitspartei, Avi Gabbay, aufsteigender Stern der zionistischen Linke. Er erachtete dies als „abscheulichen Terrorakt“ und nannte die Täter „verachtenswerte Mörder“.
Bei seinem nicht sehr viel versprechenden Debüt konkurrierte er mit dem Stil der Likudniki Ofir Akunis und Gilad Erdan. Wenn dies ein verachtenswerter Terrorakt war, wie würde Gabbay das Sprengen eines Busses nennen, der voller Leute ist? Und was würde er über Grenzpolizei-Offiziere sagen, die ab und zu ein vorbeigehendes palästinensisches Mädchen oder einen Jungen mit einem Messer töten? Und vielleicht haben die Angreifer niemanden, der sie mit einem Auftrag „sandte“? Vielleicht sind es Araber, die selbst entscheiden? Das ist nicht die Art und Weise, um eine Mitte-Links-Opposition aufzubauen.
Aber die humoristische Abwechslung wurde – wie gewöhnlich – von dem Politiker geliefert, der von seinem Selbstbewusstsein das verliert, was davon bleibt. Jesch Atid*-Vorsitzender Yair Lapid schrieb anscheinend mit vollem Ernst: „Mit ihrem Tod haben sie uns befohlen, zu leben.“ Lapid lebt in Ramat Aviv Gimel Dank dem Tod der Grenzpolizei-Offiziere nahe dem Eingang zur Al-Aqsa. Selbst das hat eine gewisse Logik und jeder rezitierte in einem sirupartigen Chor: Die Blut-Allianz mit der Drusen-Gemeinschaft ist eine heilige Allianz.
Und im Hintergrund war die übliche und unverschämte Forderung einer Verurteilung von Seiten des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und der Araber Israels - ja tatsächlich der ganzen Welt, während Israels niemals die Akte seiner Soldaten und Polizisten verurteilt, auch wenn sie unschuldige Zivilisten töten.
Und vor allem noch einmal: keiner fragt, warum dies geschehen ist und warum dies noch viele Male geschehen wird. Das Töten von zwei Polizisten ist ein ernster Vorfall; die Tatsache, dass Israelis sie töteten, macht dies noch schlimmer.
Aber selbst Vorfälle wie diese haben ein Motiv, einen Grund und tiefe Wurzeln. Diese zu diskutieren, wird als Verrat angesehen und als Rechtfertigung von Terror. Israel fragt nicht einmal sich selbst, ob es wert ist, den Preis dieses Blutvergießen zu zahlen, für die Kontrolle der Al-Aqsa oder des Grabes der Patriarchen, des Flüchtlingslagers von Balata oder Jenin. Es verhindert, dass diese Fragen aufkommen, weil es die Antworten weiß und sie wie das Feuer flieht.
Die Antworten führen zu einer einzigen Schlussfolgerung, einer Schlussfolgerung, die nur wenige Israelis zu akzeptieren bereit sind. Und so sagt Israel tatsächlich: Vergieße mehr von unserm Blut. Vergieße Blut bis es so weh tut, dass wir uns der Antwort auf die schicksalhafteste Frage nicht mehr entziehen können: Wollen wir diese verfluchte Besatzung fortführen, die uns weiter bis zum letzten Tag Blut kosten wird?
*Anm. des Hrsgb.
Die Schiv'a (hebr. „sieben“) ist im Judentum die Zeit der Trauer in der ersten Woche unmittelbar nach dem Begräbnis von Eltern, Ehegatten, Geschwistern oder eines Kindes, die für die Hinterbliebenen nach der Beerdigung beginnt.
Jesch Atid (hebr. „Es gibt eine Zukunft“) ist eine liberale laizistische Partei, die im April 2012 vom früheren TV-Journalisten Yair Lapid, dem Sohn des früheren Schinui-Politikers und israelischen Justizministers Josef „Tommy“ Lapid, gegründet wurde. Bei der Wahl zur Knesset am 22. Januar 2013 wurde Jesch Atid mit 19 Mandaten die zweitstärkste Partei in der Knesset. Am 15. März 2013 wurde der Koalitionsvertrag unterzeichnet, wobei Lapid das Amt des Finanzministers erhielt. Am 2. Dezember 2014 wurde Yair Lapid von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entlassen.